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Stein gewordene Unendlichkeit
6.12.2024
Arbeiten an der Wiesenkirche liegen voll im vorgegebenen Zeitfenster
Von Thomas Brüggestraße
Soest. Wahlen und Abstimmungen beim Westfälischen Dombauverein St. Maria zur Wiese gibt es erst wieder 2025. Getagt haben die Mitglieder jetzt trotzdem, denn der Rückblick macht alle stolz: Die „Pflicht" sei getan, die Statik und Sicherheit am Kirchenbau wieder hergestellt. So zog Vorsitzende Dr. Birgitta Ringbeck Bilanz: Was jetzt in 2025 komme mit dem Aufbau der Riesenfialen am Nordturm und mit weiterer Zier aus Stein, das sei die Kür. Die Vorbereitungen zur Fertigstellung liefen bestens, und die Steinmetze arbeiten zu sehen, es sei immer wieder eine Freude. Ringbeck: „Man kann in die Bauhütte kommen, wann man will – immer wird gearbeitet am Stein." Man dürfe dankbar sein für diesen Fleiß.
Bei aller Arbeit blieb noch Zeit für eine fundierte Ausbildung: Nele Dreizehner schloss 2024 als Gesellin der Bauhütte mit Bestnote ab. Alt-Dombaumeister Jürgen Prigl und sein Nachfolger Gunther Rohrbeck strahlten ebenso glücklich wie Nele Dreizehner, die erst einmal einen großen Blumenstrauß entgegennehmen durfte. Schon ging das Grübeln los: Ist sie jetzt die erste Gesellin an einer Bauhütte? „Auf jeden Fall die erste, seit Bauhütten immaterielles Kulturerbe sind, wir dürfen stolz auf sie sein", antwortete Jürgen Prigl: „Ich werde recherchieren", versprach er.
Jürgen Prigl, auch er durfte sich über Applaus freuen: Dass Ministerpräsident Hendrik Wüst ihm persönlich den Verdienstorden des Landes NRW umgehängt hatte vor wenigen Wochen, das blieb natürlich nicht unerwähnt. Hendrik Wüst an Jürgen Prigl: „Sie setzen mit ihrem Einsatz stetige Zeichen der Hoffnung." So stand es dick und fett in der „Süddeutschen", die bei der Sitzung mit dem Beamer an die Leinwand projiziert wurde.
Zurück an die Kirche: Die sei für die nächsten Generationen in ihrer statischen Festigkeit gesichert, unterstrichen Dr. Birgitta Ringbeck und Dombaumeister Gunther Rohrberg. Was hatten die Steinmetze der Dombauhütte „Zur dreifachen Treue" nicht alles erlebt während ihrer langen und Kräfte zehrenden Arbeiten: Immer wieder fanden sich großflächig marode Stellen, die schnellstmöglich und fachgerecht saniert werden mussten.
Vor kurzem am Südturm wurde es sogar richtig gefährlich: Arbeiten mit „Hitlerbeton“ aus einer Renovierungsphase in den 1930er Jahren waren so unfachmännisch ausgeführt worden, dass Dombaumeister Jürgen Prigl mehr als einmal der Kragen platzte: Wie man so einen elenden Pfusch an so einem Gebäude überhaupt habe zulassen können, das werde er nie verstehen. Mit aufwändiger Technik wurden betroffene Mauerteile abgestützt, damit den Menschen in der Kirche nicht Steine aus dem Chorraum aufs Haupt fielen.
Maroder Balken muss getauscht werden
Schnelles Handeln und viel Umsicht hat das eine Unglück verhindert – das nächste lauert aber schon wieder nach einem Blick unters Dach: Einen wichtigen tragenden Balken im Eingangsbereich am Südturm haben Rohrberg und seine Mitarbeiter erst einmal provisorisch abgestützt und wieder gerade gedrückt: Der mächtige Eichenbalken ging brav wieder in Form, und gerade das zeige die Misere, erläuterte Rohrberg bei seinem Vortrag über aktuelle Arbeiten: „Die Löcher in der wieder getrockneten Eiche, dieses Bild bezeichnen wir als Würfelbruch. Gesunde Eiche bleibt wie sie ist. Dieser Balken hat wie ein Schwamm über lange Zeit Wasser aufgenommen. Dann hat ein Pilz das Holz zersetzt. Das freut den gescheckten Nagelkäfer, der jetzt viel zu fressen hat. Den bekommt man nicht tot." Heißt: Ideen sind gefragt. Der Brösel-Balken muss raus, schnellstmöglich ersetzt werden. Bei jedem normalen Bau wäre das kein Problem – aber an einem wertvollen Denkmal wie der Wiesenkirche, da geht man chirurgisch und sorgsam zu Werke, arbeitet mit Präzisionswerkzeug, um historische Substanz zu schonen und zu erhalten. Die nächsten unerwarteten Zusatzarbeiten stehen also schon wieder im Südteil auf dem Zettel, während alle sich eigentlich auf den Nordturm konzentrieren wollten. 2027 sollen die Arbeiten enden, das ist im Moment der Plan.
Wie legt man Anker so exakt in ein Gemäuer, dass sie von Anfang an passgenau sitzen und ein Auseinanderstreben der Steine verhindern, warum bleibt Blei wichtig für die Arbeit an der Wiese, wie verfüllt man Fugen neu und auch bäuchlings an den kniffligsten Stellen hohlraumfrei bis in die Tiefe des Gemäuers? Gunther Rohrberg zeigte den Versammlungsteilnehmern mit einer computergestützten Bilderschau, wie und wo alle Mitarbeiter der Bauhütte behutsam und fachkundig bei der Arbeit waren. Dass man Wilhelm Peters senior von der gleichnamigen Glasmalerei dankbar sei, dass der schon mal auf eigene Kosten passendes Glas für die noch ausstehenden Fenster gekauft habe, auch das lobte Rohrberg: „Genau das Glas, das wir brauchen, hätte es schon bald nicht mehr gegeben – nun haben wir es auf Vorrat. Das macht auch nicht jeder von sich aus.“
„Was ist Unendlichkeit – wie viele Hammerschläge waren das über die Jahrhunderte?“ Der Wert von Arbeit und Kirche sei kaum zu bemessen, wollte Jürgen Prigl damit sagen, als er auf eine Frage einer Versammlungsteilnehmerin antwortete: Was man Leuten sagen solle, die beim Gottesdienst darüber tuscheln, wie man denn so viel Geld in diese Kirche stecken könne? Sie hätte den Gottesdienst nicht stören wollen, aber verärgert sei sie ganz schön gewesen über so einen Ausbund an Unvernunft, sagte die Dame.