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Mit roter Nase zum Einsatz
13.12.2024
Leela und Suvan Schlund leben ihren Traum und arbeiten als Clowns
Von Klaus Bunte
Soest. Ihre „Arbeitskleidung“ hilft ihnen, Abstand zu wahren, die Situation nicht zu sehr an sich selbst heranzulassen, wenn sie die Kinder besuchen, die auf der onkologischen Station der Essener Uniklinik liegen. „Es ergreift mich natürlich immer noch, aber nicht so, dass ich dadurch nicht arbeiten könnte. Der Fokus unserer Arbeit liegt nicht auf der Krankheit. Wenn die Kinder darüber reden wollen, sind wir natürlich für sie da und hören ihnen zu. Aber die wollen mit uns spielen. Selbst wenn klar ist, dass die Kinder den Kampf gegen den Krebs nicht gewinnen werden: Krebskranke Kinder sind krebskrank und Kind. Wir sprechen das Kind an“, erzählt Suvan Schlund. Sie seien die einzigen, die nichts von ihnen wollen. Sie wollen sie nicht untersuchen, ihnen keine Spritzen geben, ihnen keine Vorschriften machen: „Wir kommen aus dem Nichts, singen, tanzen, hören ihnen zu und gehen wieder ins Nichts.“
Leela und Suvan haben eine Berufswahl getroffen, die sie vermutlich mit niemandem sonst in Soest teilen: Sie arbeiten als Clowns. Vollzeit. Davon kann man leben? Ja, schon. Sogar ein Leben lang – zwangsläufig. Denn um Rücklagen fürs Alter zu bilden, reichen die Einnahmen nicht aus. „Die Entscheidung geht zu Lasten der Altersversorgung, wir müssen das machen, bis wir umkippen“, meint Suvan Schlund. Ohne die Künstlersozialkasse sähe es gänzlich finster aus. Doch dafür ist es immerhin ihr Traumjob, „und mit dem Alter wird man immer besser und authentischer“.
Diesen Job üben sie nicht im Zirkus aus, nicht im Varieté, nur selten bei öffentlichen Veranstaltungen. Nein, ihre Manegen, das sind Krankenzimmer in Hospitälern sowie die Zimmer und Gemeinschaftsräume in Seniorenheimen. Suvan (58) und Leela Schlund (66) sind Klinikclowns, die freischaffend und auf Rechnung hauptsächlich für einen Verein im Ruhrgebiet arbeiten, um kranken und alten Menschen mittels Humor wieder Hoffnung und Lebensmut zu schenken. Der Auftritt erfolgt in der Regel in Zweier-Teams, die immer in enger Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal ihrer Aufgabe nachgehen.
Das Ehepaar kam auf unterschiedlichen Wegen zu der ungewöhnlichen Berufswahl. Suvan wollte schon als Kind, als er noch die Soester Petri-Grundschule besuchte, Clown werden, so wie andere Jungs Astronaut oder Feuerwehrmann, „aber ich wusste damals natürlich nicht, dass man das richtig lernen kann“. Das erfuhr er erst spät nach einem Wechsel durch verschiedene Jobs, darunter einer Ausbildung an einer Essener Gymnastikschule zum Bewegungspädagogen.
Dort lernte er 1996 auch Leela, die ursprünglich Krankenschwester gelernt hatte, kennen und lieben. Später gaben sie selber einige Jahre Unterricht in einem eigenen Studio in Soest, das sich auf Dauer jedoch nicht rentierte. Er arbeitete mal in einer Psychiatrie, später auch im Soester Bioladen Lebensgarten, gab den Job jedoch auf, als die Clownsarbeit mehr und mehr wurde, die er zwischenzeitlich auf einer Schule in Hannover erlernt hatte – seither darf er sich „geprüfter Darsteller für Clown-Theater und Komik“ nennen.
Leela fing Feuer, als ihr ein Gutschein geschenkt wurde für einen Clown-Kurs, „und das war wunderbar, zu wissen: Sobald man diese rote Nase aufsetzt, trägt man eine Maske. Es ist ein Ritual, durch das ich mich von der Leela in die Elfie verwandele und aus dem Suvan der Anton wird“, so die Namen ihrer beiden Charaktere, „und dass damit auf einmal etwas ganz Neues aus einem herauskommt. Dafür musste ich nichts tun, sondern durfte einfach schauen, was entsteht. Ein bisschen platt ausgedrückt, es ist einfach schön, einfach nur auf der Bühne zu sein und nichts können zu müssen. Und mich dabei gut zu fühlen und auch noch Lacher zu ernten, dafür, dass ich einfach nur sein darf. Da wusste ich: Die Ausbildung möchte ich machen.“
Also fuhr auch sie über dreieinhalb Jahre monatlich nach Hannover, zeitweise flog sie sogar dorthin. Denn von 2008 bis 2010 lebte das Paar in der Schweiz. Leela: „Wir sagten uns: Wenn wir uns noch einmal richtig verändern wollen, dann jetzt.“ Ins Alpenland, der Heimat vieler bekannter Clowns, gelockt worden waren sie von Freunden, doch der erhoffte Durchbruch kam nicht. Vielmehr stellten sie irgendwann fest: „Als Deutsche in der Schweiz zu leben, war damals echt schwierig. Eines Tages, als Besuch aus Soest kam, dachte ich: Wir haben in Soest doch alles. Also folgte auf das Auswandern das Wiedereinwandern“, erinnert sich Suvan. Leela: „Nach unserer Rückkehr war es, als wären wir nur kurz im Urlaub gewesen. Alle Türe öffneten sich hier wieder für uns. So hatten wir das in der Schweiz nicht erlebt. Suvan fand eine Anstellung im Lebensgarten, ich bei der Diakonie.“
Tränen, wenn der Krebs zurückkehrt
Wobei: „Man kann in Soest wirklich gut leben – aber die Impulse holt man sich von außerhalb.“ Einer davon war der über Spenden, Fördervereine und Fördergelder finanzierte Verein Clownsvisite, der 15 Clowns in über 20 Einrichtungen im Ruhrgebiet vermittelt. Suvan: „Ich hatte mich schon öfter dort beworben, um das Künstlerische mit dem Sozialen verbinden zu können und weil man als Einzelkämpfer schwerer zu Einsätzen in den Kliniken und Seniorenheimen kommt, war aber aufgrund der Distanz immer abgelehnt worden. Aber vor fünfzehn Jahren wurde ich wirklich angefragt von einer Kollegin, mit der ich die Ausbildung gemacht hatte, und dann war ich plötzlich dabei.“ Neben den bezahlten Stunden leisten sie auch ehrenamtliche.
Und die, erzählt Suvan, „sind wie Improvisationstheater. Man muss sich nicht vorbereiten, sondern einfach drei Stunden vor Ort präsent und wirklich voll da sein. Anschließend ist man aber auch wirklich kaputt.“ Hinzu kommen die langen Anfahrtswege mit der Bahn – unbezahlte Arbeitszeit, „aber das ist es uns wert“.
Und doch gibt es immer wieder Situationen, in denen auch sie schlucken müssen – nicht im Krankenzimmer, sondern, nachdem sich die Tür wieder hinten ihnen geschlossen hatte.
„Aber dann bin ich nicht mehr in der Elfie“, meint Leela, während die konkreten Erinnerungen sie den Tränen nahebringen. „Wenn Kinder, die man jahrelang begleitet hat, an Krebs sterben, wenn sie als geheilt galten, der Krebs aber nach einigen Jahren doch zurückgekehrt ist oder wenn tödliche Nebenwirkung auftreten. Dann kann ich mir bei den Kollegen Hilfe holen, oder, was bei mir noch nicht vorgekommen ist, auch professionelle Hilfe.“
Doch die schönen Momente überwiegen. Suvan: „Seniorenheime sind irgendwie Parallelwelten. Dorthin geht man ja nur, wenn man dort Angehörige hat. Daher ist es für uns ein Geschenk, dort sein zu dürfen. In einem sagte mir man mal: Zu der Frau, da braucht Ihr gar nicht erst hineinzugehen. Da werde ich ja direkt hellhörig. Sie lag zusammengekauert da, doch als sie uns sah, hellte sich ihre Miene sofort auf. Das nimmt mich dann mit, in positiver Weise. Wir drei Clowns hatten Tränen der Rührung in den Augen und haben ein bisschen für Sie Musik gemacht. Denn mitsingen, das ist das Letzte, was sie am Ende ihres Lebens noch können. Und dann sagte sie: So. Und jetzt geht ihr raus und macht die anderen auch glücklich. Danach haben wir auf dem Flur gestanden und geheult.“
Und so hat das Paar seine Zukunft gefunden – mit Figuren, die, wie Suvan betont, keine Vergangenheit haben: „Clowns leben nur im Hier und Jetzt. Das gibt ihnen eine unglaubliche Freiheit. Privat habe ich diese Narrenfreiheit nicht. Obwohl Anton ein Teil von mir ist.“ KLAUS BUNTE
Info
www.trio-flanoer.de (Suvan Schlunds neuestes Projekt)